Freitag, 10. August 2012

Punk- und Indie-Labels im Jahr 2012: Uncle M Records im Interview

Haben Plattenfirmen eine Zukunft? Und wenn ja, wie sieht die aus? in unserer Interview-Serie über die Sorgen und Nöte von Punk- und Indie-Labels ist diesmal Uncle M Records dran - ein noch recht junges Label aus Münster, das aber schon durch tolle Scheiben etwa von Waterdown, Nothington oder Radio Havanna punkten konnte. Interview-Partner Mirko hat zudem schon jahrelange Erfahrung in der Szene und als Labelmacher - war er doch unter anderem auch lange als Labelmanager von Sideonedummy Records Deutschland tätig.


Mirko, CDs kauft kaum noch jemand, mit Streaming-Diensten wie Spotify verdienen kleine Labels kaum Geld, immer mehr Bands bringen zudem ihre Alben lieber selber raus. Auch wenn Ihr erst seit kurzem dabei seid: Macht es anno 2012 noch Spaß, ein Label zu machen?

Ja, es macht Spaß, aber man muss lernen, die schönen Seiten der Arbeit von dem Gedanken an Geld zu trennen. Eine meiner ersten Veröffentlichungen auf Uncle M war Anfang 2012 die Abschieds-LP von Waterdown. Wenn ich sage, dass wir dort hunderte Stunden gemeinsam investiert haben, dann ist das wahrscheinlich noch untertrieben. Unterm Strich hat der Release gerade mal so die Kosten gedeckt. Und dennoch würde ich das jederzeit wieder so machen!

Was sind aktuell die größten Herausforderungen für Dein Label?

Da sind zum einen die wirtschaftlichen Hürden: Eine Platte oder Produktion vorzufinanzieren ist richtig schwierig geworden. Wir reden hier nicht nur von den eigentlichen Presskosten, sondern auch von Anzeigen, Studiokosten, Miete, Telefon, Lieferanten (Poster, Flyer, Sticker) und nicht zuletzt dem eigenen Gehalt. Zwischen der ersten eintrudelnden Rechnung und den ersten ernstzunehmenden Einnahmen durch Zahlungen unseres Vertriebs vergehen gerne mal mehrere Monate, in denen die Zeit ja nicht stillsteht. Wir reden hier von einer mittleren fünfstelligen Summe, die im Umlauf ist – welche im Grunde mir gehört, aber dennoch nicht auf meinem Konto ist.
Die andere Herausforderung besteht darin, nicht den Überblick zu verlieren. Ich arbeite mittlerweile mit rund 800 unfassbar interessanten Blogs in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Und ich bekomme im Jahr locker 7000 Bands und Demos auf den Tisch, von denen ich mit 15-20 arbeiten kann.
Ich könnte Wochen damit verbringen, mit diesen Musikern & Bloggern zu quatschen, alle Alben von A-Z zu hören, Infos zu lesen usw. Am Ende wäre ich pleite. Will sagen: Den Spagat zwischen Masse und Klasse zu schaffen, fordert mir wirklich einiges ab.

Würdest Du das Label mit Deinem jetzigen Wissen nochmal gründen?

Jederzeit. Ich habe Uncle M ganz bewusst und im "Angesicht der Krise" gegründet – weil ich der Meinung bin, daß ich genügend Ideen & Visionen habe, um aus den schwierigen Situation dennoch etwas Gutes herauszuholen.

Was war dein größter Fehler in all den Jahren?

Das soll jetzt nicht vermessen klingen aber selbst wenn man meine 10 Jahre als Labelmanager von Sideonedummy Records dazurechnet muss ich sagen: wirklich GROSSE Fehler habe ich nicht gemacht. Ein Vorwurf, den ich mir aktuell mache ist, dass ich gewisse Neuheiten auf dem Technologiemarkt wie die Cloud- oder Streamingdienste anfangs etwas unterschätzt habe. Was da auf uns zukommen wird in 2013 bis 2015 wird die Musikwelt nochmal grundlegend umkrempeln und sogar einen größeren Graben reißen als es einst das MP3-Filesharing.

Das Thema Urheberrecht ist dank Piraten-Partei und Co ja derzeit überall präsent. Sven Regener hat vor kurzem dazu seine so genannte "Wut-Rede" gehalten und gesagt: "Die kleinen Labels sind alle weg. Was bleibt, ist Volksmusik, deutscher Schlager und Rockmusik für die Älteren" - hat er recht?

Jein. Es gibt sie noch, die alternativen Indie-Labels. Aber er hat schon Recht – unsere Branche riecht nach Moder. Ich sehe die Situation aber dennoch etwas positiver als der geschätzte Sven: Sicher sind die kleinen Indies die ersten, die in die Knie gehen. Andererseits werden sie auch die ersten sein, die (weil klein, kreativ & wuselig) gestärkt in die kommende Medienwelt hineinfinden werden, während die trägen Majors noch mit dem Resten ihrer kaputten Geschäftsmodelle kämpfen. #HopeDiesLast.

Und nochmal Regener: Da es uncool sei, sich über Raubkopien aufzuregen "halten alle schön die Schnauze und schauen weiter zu, wie alles den Bach runter geht" - im Punk- und Indie-Bereich wahrscheinlich schon, oder?

Ich merke bei den Uncle M Freunden beide Seiten: Einerseits Fans, die die schwierige wirtschaftliche Situation von Bands & Labels eingesehen haben und sehr bewußt einkaufen:
Es macht ja schon einen gewaltigen Unterschied, ob 1000 Chuck Ragan Fans ihre Platte direkt bei uns im eigenen Webshop kaufen oder zum anonymen Amazon rennen und damit einem raffgierigen Logistik-Konzern einen Großteil des Gewinns in den Rachen rüsseln. Solche kleinen Änderungen im Kaufverhalten reichen bereits aus, um eine wirtschaftliche Existenz für Labels wie uns zu sichern – ähnliche Beispiele sieht man ja auch im Bio-Segment: Es ist richtig, zu sagen, dass alle Macht beim Konsumenten liegt.
In unserem engeren Umfeld gibt es allerdings auch die andere Seite: Fans, die keinen Cent für Musik ausgeben und sich ihr eigenes Unrechtsverhalten damit schönreden, dass sie ab und an ein T-Shirt kaufen oder Konzerteintritt bezahlen. Denen ist auch nicht mit Vergleichen beizukommen. Das gesparte Geld wird stattdessen bei BP/Aral vertankt ( = weitere Konzertfahrten) oder an Technologiegiganten verdaddelt (neue Apps im iTunes Store). Jeder der so handelt verspielt sein Recht darauf, eines Tages zu jammern, wenn es um uns herum nur noch absolute Stille und Coldplay gibt!

Ist Label-Machen heutzutage eher Hobby als eine echte Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten?

Ich kann vom Labelmachen leben – allerdings bin ich darauf angewiesen, mehr zu tun als nur Platten zu releasen: Ich gebe Band-Workshops, promote Label-fremde Bands oder berate andere Firmen außerhalb des Musikbereichs mit meinen gesammelten Erfahrungen. Und manchmal buche ich auch eine Show. Unterm Strich reicht es irgendwie. Ich sehe es sportlich: Abwechslung hält jung.

Was sagst Du einer Band, die der Meinung ist, dass man heutzutage als Musiker besser alles selber macht, als ein Label zu beauftragen?

Das ist kein verkehrter Gedanke, allerdings werden es die Stolling Rones deutlich schwerer bei diesem Schritt haben als die Rolling Stones.
Wer bereits eine Fanbase hat, der erreicht seine alten Freunde dank Internet heutzutage deutlich einfacher & effizienter. Wer erst eine Fanbase aufbauen muss, hat es deutlich schwerer als noch vor 10 Jahren – und gerade DIESE Bands sind auf die professionelle Hilfe von Labels angewiesen. Aber nicht nur das: Junge Bands brauchen heutzutage nicht nur einen Labelmanager sondern vor allem einen Social Media Manager.

Sind Vinyl, hochwertige Sammler-Editionen und Merchandise eine Lösung - oder auch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?

Weder noch. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.
Mehr Haptik und kleinere Auflagen bedeuten zusätzlich zum ohnehin schwierigen Geschäft halt auch ein nochmals gestiegeneres finanzielles Risiko. Die Lösung liegt nicht in der Verpackung sondern im Inhalt. In Kolibri-Penisleder gewickelte Scheisse bleibt halt auch nur Scheisse.
Meiner Meinung nach ist die Lösung, Bands zu releasen, die in ihrer Szene wirklich einzigartig sind. Und die politisch & sozial mehr zu sagen haben als die 12 Songs auf dem Album.

Wo siehst Du Dein Label in zwei oder drei Jahren?

Entwedet mausetot oder als Punkrock-Mekka etabliert.
Ich möchte mit glasklarer Linie einen Weg aufzeigen, der für Fans und Bands eine Vorbildfunktion darstellen kann. Pathetisch gesprochen: Großartige Musik mit sozialer Verantwortung und viel Herzblut zusammenbringen.

Ein guter Freund kommt zu Dir und sagt, er startet jetzt sein eigenes Label, weil er so viele gute Musiker kennt, die er veröffentlichen möchte. Was rätst Du ihm?

Ich rate ihm: TU ES! Aber nicht aus finanziellen sondern aus ideellen Gründen.
Ich habe vor ca 20 Jahren meine erste Hardcore-Show besucht. Damals war 1/3 der Leute in Bands, 1/3 hatte ein Label oder Zine und das letzte Drittel hat Shows organisiert. Mittlerweile ist ein Großteil der Kids in unserer Szene zu Konsumenten verkommen. Von demher kann ich es nur begrüßen, wenn wieder mehr Fans ein aktiver Teil der Szene werden: Sei`s nun als Band, Label oder Fanzine!

Noch etwas, das Dir zu diesem Thema wichtig ist?

Ich hab das Gejammere unendlich leid. Das Gejaule der Labels aber auch das der Fans. Wir alle (oho, das große Wort: Die Gesellschaft) haben uns die Situation eingebrockt und müssen die Suppe nun auslöffeln. Es ist nicht das erste Mal, dass Technik ein vorher liebgewonnenes Produkt kaputtmacht – ruf mal bei Kodak an.
Von demher gilt es, den Kampf jetzt anzunehmen und auch unter den neuen technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten einen Weg zu finden, der gemeinsam für Bands & Fans spannend bleibt.
Mein Credo lautet: "Alles wird am Ende gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende." . Punkt.

www.facebook.com/uncle.m.music