Montag, 27. August 2012

Punk- und Indie-Labels im Jahr 2012: Arctic Rodeo Recordings im Interview

Warum betreibt man eigentlich jahrelang ein Label, wenn man am Ende immer mehr Geld reinstecken muss als rauskommt, die Songs kostenlos heruntergeladen werden und kaum noch jemand die harte Arbeit wertschätzt? Frederic von Arctic Rodeo muss die Antworten kennen, schließlich betreibt er sein Label schon seit vielen Jahren, hat tolle Platten etwa von Solea, Kevin Devine, Far oder Horace Pinker veröffentlicht - und gehört folgerichtig natürlich auch unbedingt in unsere Interview-Serie über die Sorgen und Nöte von Punk- und Indie-Labels.




Frederic - CDs kauft kaum noch jemand, mit Streaming-Diensten wie Spotify verdienen kleine Labels kaum Geld, immer mehr Bands bringen zudem ihre Alben lieber selber raus. Macht es anno 2012 noch Spaß, ein Label zu machen?

Zu behaupten, dass es manchmal nicht frustrierend sei, das wäre gelogen. Aber ja, das es macht trotzdem großen Spaß – allerdings ist es vor allem der Kontakt zu den Fans bzw. zum Publikum und das sehr gute Verhältnis zu den Künstlern, was der ganzen Sache einen großen Reiz verschafft. Und zu sehen, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen.
Dabei sind es vor allem die Ansatzpunkte, die es ermöglichen, die üblichen Mechanismen und Prozesse zu umschiffen – wir beantworten jede Bestellung in unserem Shop persönlich und individuell und freuen uns, wenn die Leute wiederkommen. Wir lieben es einfach, möglichst viel selbst und auf direktem Wege zu machen. Auf diese Art verdient man kein großes Geld, aber das war ohnehin nie der Antrieb für uns, Arctic Rodeo zu starten. Jedes positive Feedback bedeutet uns sehr viel und ermutigt uns, weiterzumachen. Ich sage immer: wir backen ziemlich kleine Brötchen, aber ich denke die sind lecker. Und es gibt einige Leute, die mögen sie auch recht gerne.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen für Dein Label?

Für mich ist das definitiv, eine Fanbase aufzubauen. In den 80er und 90er Jahren gab es große label- und szenebezogene Fangemeinschaften – wenn was bspw. auf Sup Pop, Glitterhouse, Touch & Go, Dischord oder Jade Tree rauskam, dann wurde das meist von einer Vielzahl an Fans des entsprechenden Labels gekauft, weil man wusste: Das gefällt oder ist zumindest interessant. Ich ticke heute noch so, weiß aber, dass ich da mittlerweile zu einer Minderheit zähle. Dennoch würde ich gerne versuchen, etwas ähnliches für Arctic Rodeo zu erreichen.
Und es gibt einige Leute, die immer wiederkommen, die Fans des Labels geworden sind. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als als Label von Menschen entdeckt und liebgewonnen zu werden. Ich denke auch, dass sich im Zeitalter von Streamings und Digitalverkäufen wieder mehr Leute nach etwas Handfestem sehnen – einer Vinyl LP zum Beispiel, die liebevoll aufgemacht ist und eben nicht nur ein Haufen Daten auf einer Festplatte. Sozusagen ein gegenläufiger Trend, wenn auch ein kleiner. Ich sehe uns eher dort verortet, wo sich diese Leute rumtreiben.

Würdest Du das Label mit Deinem jetzigen Wissen nochmal gründen?

Na klar, sofort – da würde sicher einiges anders bzw. glatter laufen.

Was war dein größter Fehler in all den Jahren?

Eigentlich das klassische Dilemma: Ich glaubte früher zu wissen bzw. einschätzen zu können, wie die Leute, also die potentiellen Käufer, ticken und was sie interessiert und daher auch zu wissen, was sie wollen und dass daher diese oder jede Platte gut laufen würde. Damit lagen wir oft falsch und haben uns daher desöfteren maßlos vergaloppiert. Andere Sachen liefen aber auch besser als erwartet. Ich wage mittlerweile keine Prognosen mehr und bin sehr vorsichtig geworden. Man hofft eben, aber es gibt kaum noch was, das mich schocken könnte.

Das Thema Urheberrecht ist dank Piraten-Partei und Co ja derzeit überall präsent. Sven Regener hat vor kurzem dazu seine so genannte "Wut-Rede" gehalten und gesagt: "Die kleinen Labels sind alle weg. Was bleibt, ist Volksmusik, deutscher Schlager und Rockmusik für die Älteren" - hat er recht?

Tendenziell schon, aber ein paar Labels sind schon noch da. Vor allem heutzutage ein kleines Independentlabel professionell betreiben und damit Geld verdienen und damit den Lebensunterhalt zu bestreiten zu können, das wird mittlerweile zur Illusion. Es gibt einige wenige Ausnahmen, aber wer weiß – vielleicht hätten wir in den frühen 90er Jahren von Arctic Rodeo leben können. Heute geht das nicht, wir sind froh, wenn wir null auf null rauskommen – dann ist es nämlich okay gelaufen. Das ist schon bitter. Als Künstler heute von Musik zu leben, geht vor allem über Liveaktivitäten. Labels haben es schwer. Das Problem sehe ich darin, dass aufgenommene Musik – also Alben – heute eben nicht mehr als hochwertiges, arbeits-, zeit- und budgetintensives Kulturgut wahrgenommen wird, sondern als zeitlich begrenzt wertiges Wegwerfprodukt, das einfach so frei verfügbar ist, als Hintergrundgeräusch oder als Alibi für den Tanzflächenbesuch. Einen sogenannten Song irgendwo runterladen aufs Handy, 1 Woche lang über minderwertige Handylautsprecher in der U-Bahn anhören und Leute auf die Nerven gehen, dann wieder löschen, nächste Nummer. Diese Form des Musikhörens ist mir sehr fremd. Es ist schwer, als Independentlabel solch einem Konsumverhalten zu begegnen.

Und nochmal Regener: Da es uncool sei, sich über Raubkopien aufzuregen "halten alle schön die Schnauze und schauen weiter zu, wie alles den Bach runter geht" -  im Punk- und Indie-Bereich wahrscheinlich schon, oder?

Keine Ahnung, ehrlich gesagt…. Aber ich fürchte er hat recht, ja. Das Problem ist, dass es nichts bringt, sich darüber aufzuregen, auch wenn es natürlich eine katastrophale Entwicklung ist. Wir versuchen, attraktive Formate rauszubrigen und setzen unseren Schwerpunkt bei Vinyl – das ist eben was, davon kann man sich nicht mal eben eine Kopie ziehen. Ich denke wenn man etwas veröffentlicht, das so interessant aufgemacht ist, dass andere es in dieser Form besitzen möchten, dann kann man ein klitzekleines bisschen gegensteuern. Es wird keiner damit aufhören, weil wir uns laut aufregen.

Ist Label-Machen heutzutage eher Hobby als eine echte Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten?

Ich wundere mich immer wieder darüber, dass es Leute gibt, die allen Ernstes glauben, dass wir von Arctic Rodeo leben können. Insgesamt habe ich bisher mit dem Label mehr Geld verloren als eingenommen. Und wir haben einige Freunde, die uns ehrenamtlich und aus alter Freundschaft massiv unterstützen und denen wir dafür sehr dankbar sind – Grafik, Layout, Presse etc. Ohne diesen Support würde es nicht gehen!

Was sagst Du einer Band, die der Meinung ist, dass man heutzutage als Musiker besser alles selber macht, als ein Label zu beauftragen?

Los, mach.

Sind Vinyl, hochwertige Sammler-Editionen und Merchandise eine Lösung - oder auch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?

Für uns sind diese Sachen sehr wichtig. Aber wir sind kein Maßstab…. Wir lieben diesen Kram. Ich bin selber Sammler und kaufe sehr viele Platten und auch viele Raritäten. Wie gesagt, ich denke, dass sich viele Leute, die sich noch für Tonträger interessieren, gerne was Besonderes und Hochwertiges bekommen würden. Im Mainstream mag das irrelevant sein, ich denke da sind große Kooperationen mit digitalen Downloadplattformen wichtiger.

Wo siehst Du Dein Label in zwei oder drei Jahren?

Nun, ich hoffe wir sind dann noch am Start und haben noch einige gute Platten veröffentlicht und dazu in der Lage, weiterzumachen. Schön wäre es, wenn wir uns ein wenig nach oben arbeiten könnten – aber eigentlich bin ich sehr glücklich.

Ein guter Freund kommt zu Dir und sagt, er startet jetzt sein eigenes Label, weil er so viele gute Musiker kennt, die er veröffentlichen möchte. Was rätst Du ihm?

Such Dir gute Leute und Freunde, die Dir helfen und die zuverlässig sind. Lass es langsam und vorsichtig angehen, und übernimm Dich nicht.

Noch etwas, das Dir zu diesem Thema wichtig ist?

Naja…. Also Leute… kauft Platten!

Mehr Infos unter arcticrodeorecordings.com