Groove statt Gewalt: Auf ihrem vierten Album "Dead
Set On Living" schrauben die CANCER BATS den Hardcore- und Punk-Anteil
etwas zurück und drehen dafür in Sachen Sludge und Rock mächtig auf. Die schon
immer vorhandene Vorliebe für zum heftigen Kopfnicken zwingende Bands von BLACK
SABBATH bis zu den QUEENS OF THE STONE AGE ist bei den Kanadiern so deutlicher
denn je. "Wir wollten eben eine Platte machen, zu der man nicht nur
ausrasten, sondern sie auch super bei voller Laustärke zum Autofahren hören
kann", erzählt der wie immer bestens gelaunte CANCER BATS-Frontmann Liam
Cormier beim Interview-Termin im Berliner Ramones-Museum.
Liam, Autofahren ist ein gutes Stichwort: Ihr wart 2011
etwa 300 Tage unterwegs, im ganzen Jahr also nur zwei Monate zuhause. Sei ehrlich
- an wie vielen Tagen hast Du dir einen ganz normalen spießigen Job gewünscht?
Ganz ehrlich: An
keinem einzigen. Na gut, vielleicht an ein paar. Es gibt Momente, da ist es
wirklich nicht schön unterwegs zu sein. Etwa, wenn ein Todesfall im engsten Freundeskreis
auftritt. Dazu kommen natürlich die Situationen, in denen man körperlich am
Ende ist und sich wünschen würde, mal zuhause ausschlafen zu können. Und na
klar, ab und zu gibt es auch Momente, in denen man einfach seine Freundin
vermisst.
Für eben diese Freundin ist doch sicherlich der neue Song
"Road sick" geschrieben - mit Textzeilen wie "I'll be back home
before you even know it", oder?
Ja genau, dieser
Song handelt halt von diesen paar Tagen, an denen unterwegs sein wirklich
anstrengend ist. Aber mir ging es bei dem Song auch darum, mal eine andere
Seite des Tourlebens zu zeigen. Das ganze Album "Hail Destroyer"
handelte ja im Grunde davon, ständig unterwegs zu sein. Als ich dann den
anderen in der Band erzählte: "Hey, ich hab einen Song übers Touren
geschrieben", schrien die gleich: „Nein, nicht schon wieder, davon haben
wir doch schon ein ganzes Album“. Als sie dann merkten, dass es diesmal nicht
darum geht, wie toll das Reisen ist, sondern über die andere Seite, hörten sie
aber auf, mit den Augen zu rollen.
Wobei Du damals mit "Hail Destroyer" ja
wahrscheinlich vielen Bands aus der Seele gesprochen hast.
Ja, wir haben sehr
viel positives Feedback bekommen. Aber nicht nur von Bands, sondern allgemein
von Leuten, die viel unterwegs sind. Das war zum Teil auch seltsam - mir
erzählten etwa Soldaten, die in Afghanistan waren, dass sie da "Hail Destroyer"
gehört haben. "Lucifer's rocking
chair" lief, als sie mit dem Panzer durch die Gegend rollten.
Was sich doch schon seltsam angefühlt haben dürfte und so
ja sicherlich nicht beabsichtigt war, oder?
Nein, natürlich
nicht. Aber im Grunde ist das auch ok so. Irgendwie mag ich die Idee, dass die
Songs eben nicht nur von unserer eigenen Tour handeln, sondern unterschiedlichsten
Leuten an den unterschiedlichsten Orten etwas geben.
Und wie ist es dann, wenn Ihr mal zu Hause seid? Werdet
Ihr dann sofort nervös und wollt schnell wieder los, so wie es Jack Kerouac in
"On The Road" beschrieben hat?
Lustig, dass Du
"On The Road" nennst, ich bin nämlich tatsächlich ein riesiger
Kerouac-Fan. Als ich das Buch das erste mal gelesen habe, hatte ich allerdings
natürlich noch keine Ahnung, dass das mal eine selbsterfüllende Prophezeiung
wird und das Ganze unser späteres Leben beschreibt. Aber ja, als wir damals
angefangen haben und ständig in unserem Van unterwegs waren, fühlte es sich
wirklich seltsam an, zu Hause zu sein. Sobald befreundete Bands in der Stadt
waren, sind wir schon mittags zu deren Shows, um mit den Leuten abzuhängen und
dieses ganz besondere Tourgefühl zu spüren. Mittlerweile hat sich das gegeben
und wir können auch mal die Zeit zu Hause genießen. Aber sobald man dann
anfängt von der nächsten Tour zu reden kann man es gar nicht mehr abwarten.
"Hey, wir fahren nach Australien. Oder nach Großbritannien. Wir spielen
mit RINGWORM. Und mit TOUCHE AMORE. Und dann mit EVERY TIME I DIE - wann geht
es endlich los?“
Mit der neuen Platte dürfte die Vorfreude auf die nächste
Tour ja noch größer sein - ich habe das Gefühl, dass "Dead Set On
Living" mit seinem extremen Rocksound und den zahlreichen mitbrüllbaren
Textzeilen live hervorragend funktionieren müsste.
Genau das war unser
Ansatz. Wir wollten endlich mal eine Platte haben, die man komplett live
spielen kann. Auf unseren alten Platten sind immer wieder Songs, die viele Rhythmuswechsel
haben - die funktionieren auf Platte, aber nicht auf einer Show. Diesmal haben
wir uns gedacht: Es muss nicht so kompliziert sein, es darf ruhig mehr in einem
Tempo sein, wir müssen nicht immer so aggressiv wie möglich vorgehen und
viermal in drei Minuten die Richtung ändern.
"Sorceress" ist ein gutes Beispiel - ich liebe den Song total,
aber wir spielen ihn live nie so wie er auf der Platte ist, sondern passen ihn
der Live-Situation an.
Wahrscheinlich ist dieses Konzentrieren auf ein Tempo
auch der Grund dafür, dass das neue Album unglaublich groovt - man kann
praktisch durchgängig seinen Kopf dazu schütteln....
Absolut! Als wir
die Songs geschrieben haben, hatten wir auch immer wieder ein paar unserer
alten Lieblingsscheiben vor Augen. Frühe BIOHAZARD, alte CORROSION OF CONFORMITY
oder PANTERA. Das sind alles Platten, die höllisch grooven, und so ein Gefühl
wollten wir auch auf der neuen Platte haben. Ich hätte auch große Lust, einfach
nur unsere neue Platte auf der nächsten Tour zu spielen. Aber das tun wir
unseren Fans dann wohl doch nicht an.
Mehr Groove bedeutet aber zum Glück nicht weniger Wut -
gleich im Opener "R.A.T.S." kotzt Du Dich über Leute aus, denen Du
einen ganz speziellen Platz in der Hölle wünscht....
Das können ganz
verschiedene Leute sein - einfach Typen, die dir den Tag versauen, die
unfreundlich zu Dir sind wenn Du einen Kaffee kaufst, die dich anrempeln, blöd
anmachen, alles sowas. Jeder von uns hat doch diese Tage, wo er solche Leute
trifft und ihnen nicht gerade das Beste wünscht. Allerdings gab es auch einen
ganz konkreten Aufhänger für diesen Song. Ich habe ihn geschrieben, als ich auf
dem Weg ins Krankenhaus zu einem wirklich guten Freund war, dem es sehr
schlecht ging. Falsche Freunde, Drogen und alles sowas - er hatte Glück, das er
überhaupt durchgekommen ist. Als ich zu ihm fuhr, kamen mir diese Worte in den
Sinn: "Rats - There is a special place in hell for people like you".
Weil ich einfach so eine Wut hatte auf alle diese Typen, die nur an sich selbst,
aber nicht an meinen Freund gedacht haben, die selbstsüchtig waren, sich
einfach nicht gekümmert haben. Die sollten im Krankenhaus sein, nicht er.
Ist das derselbe Freund, in dem es auch im Titelstück
geht? Das ist ja fast die CANCER BATS-Version eines Straight Edge-Songs
schließlich handelt es davon, dem Tod nochmal von der Schippe zu springen und
allen Drogen zu entsagen....
Ja, der Text
basiert auf den ganzen Gesprächen, die ich mit meinem Kumpel im Krankenhaus geführt
habe. Und es ist das erste mal, dass ich einen Song komplett aus der
Perspektive von jemand anderem geschrieben habe. Im Grunde ist das der Song von
meinem Kumpel. Er singt übrigens auch mit
- was ich persönlich großartig finde. Und ihm bedeutet es auch sehr
viel. Einerseits, weil wir ihm geholfen haben diese schwierige Zeit
durchzustehen, andererseits, weil es natürlich auch eine Mahnung ist, von dem
ganzen Zeug loszukommen. Ihn hat es auch beeindruckt, dass wir dann sogar
unsere ganze Platte nach dem Song benannt haben, zu dem er uns inspiriert hat.
Und letztendlich versucht der Song ja trotz der ganzen
Problematik auch eine positive Stimmung auszustrahlen.
Genau. Das ist die
andere, allgemeinere Seite des Songs. Mal abgesehen von diesem ganz speziellen
Fall muss man sich immer wieder vor Augen führen, was uns alles immer wieder
von den wichtigen Dingen im Leben abhält. Man verschwendet einfach so viel Zeit
mit Bullshit und unnötigen Diskussionen, lässt sich vom Job runterziehen und so
vielen anderen Sachen. Und vergisst dabei total, das Leben zu leben, Zeit mit
seinen Freunden zu verbringen - eben die Dinge zu machen, die eigentlich
wirklich zählen.
Wir führen dieses Interview ja im RAMONES-Museum. Wie groß
ist die Bedeutung der RAMONES für dich?
Schon sehr groß.
Klar liebe ich die Band. Man kann nicht groß werden in dieser Szene ohne THE
CLASH, SEX PISTOLS oder eben die RAMONES gehört zu haben. Aber abgesehen von
der Band an sich finde ich dieses Museum einfach großartig. Es ist nämlich kein
Disneyland, kein kommerzieller Versuch, das Erbe dieser großartigen Band
auszuschlachten. Sondern hier hat jemand, der die Band und die Musik wirklich
liebt, all diese Dinge zusammen getragen, und diese Liebe spürt man hier
überall.
Noch wichtiger als die Ramones müssten für Euch aber BLACK
SABBATH sein - sonst hättet Ihr nicht das Nebenprojekt BAT SABBATH ins Leben
gerufen, in dem Ihr BLACK SABBATH-Songs auf Eure Weise nachspielt.
Klar, BLACK SABBATH
und LED ZEPPELIN sind zwei der Rock- und Metalbands, die sehr große Bedeutung
für mich haben. BAT SABBATH enstand ja als Festival-Band. Auf dem Sonisphere
Festival 2011 in Tschechien sind wir gefragt worden, ob wir als Cover-Band
auftreten können. Der erste Vorschlag war, dass wir PANTERA nachspielen
sollten. Aber bei PANTERA ist das Drumming extrem kompliziert und Phil Anselmo
zudem einer der besten Sänger aller Zeiten. Dann kam der Vorschlag mit BLACK SABBATH - und da dachten wir erst, das
geht bestimmt deutlich einfacher. Dann haben wir aber gemerkt, dass die Songs
sich zwar wunderbar einfach anhören - aber unglaublich komplex zu spielen sind.
Unser Bassist Jay beherrscht allerdings alle Songs der ersten vier BLACK
SABBATH-Platten blind - er hat sich das Musikmachen beigebracht, in dem er BLACK
SABBATH auf der Gitarre nachgespielt hat. Erst für die CANCER BATS hat er den
Bass übernommen, vorher war er Gitarrist. Und das war unser Glück, denn somit
konnte er uns alle diese Songs beibringen - es ist immer viel einfacher, wenn
ein Freund einem so etwas erklärt.
Ein Support-Slot für die BLACK SABBATH-Reunion wäre dann
wohl einer der größten Zukunftswünsche von Jay, oder?
Nicht nur für ihn,
sondern für uns alle. Das wäre ein Traum. Wir würden dann all die Songs
spielen, die sie nicht spielen!
Na dann - Ich drück Euch die Daumen, dass der Traum mal
in Erfüllung geht.