Ein Skate-Aid-Song mit Jim Lindberg und den Riverboat Gamblers, Justin Sane als Gastsänger auf dem neuen Album: Radio Havanna befinden sich in letzter Zeit in bester Gesellschaft. Die Band tut aber auch einiges dafür, sich selbst einen immer größeren Namen zu erspielen - das neue Album "Alerta" und die zahlreichen sozialen Engagements der Band sind jedenfalls gute Gründe, Bassist Oliver Saal zum Gespräch zu bitten.
Hi Jungs, Ihr habt vor kurzem Eure Record-Release-Party zu "Alerta" gespielt - wie war es?
Es waren sogar zwei! Dem Umstand Rechnung tragend, dass wir aus Thüringen kommen, nun aber in Berlin wohnen, haben wir in Erfurt und Berlin Releaseparties gestartet. Erfurt war sehr intim und wir waren total froh, ganz viele alte und neue Gesichter wiederzusehen. Berlin hatte einen größeren Rahmen, wir haben mit Atlas Losing Grip, Kotzreiz und Jolly Roger tolle, bekannte und befreundete Bands eingeladen und hatten zwei spitzen Abende!
Generell habe ich den Eindruck, dass es extrem viel positives Feedback für die neue Platte hagelt, empfindet Ihr das auch so?
Den Eindruck haben wir allerdings auch! Das Feedback zur Platte ist bislang überwältigend, viele Leute können schon nach so kurzer Zeit Live die Texte mitgröhlen und sogar einige Leute, die unserer Musik gegenüber bisher skeptisch gegenüberstanden, haben vorsichtiges Lob anklingen lassen. Damit sind wir erstmal zufrieden, wollen aber natürlich auf den nun anstehenden Festivals noch viel mehr Leute Live überzeugen!
Den Satz "deutsche Antwort auf Anti-Flag" müsst Ihr allerdings in fast jedem Review lesen, auch in unserem - könnt Ihr damit leben?
Ich sag mal, es könnte wohl schlimmere Vergleiche geben. Wir hören selbst seit unserer Jugend Anti-Flag, und auch in ihrem gesellschaftlichen Engagement kann die Band eigentlich nur als vorbildlich gelten. Trotzdem sind wir überzeugt, mit ALERTA ein sehr eigenständiges Stück Musik geschaffen zu haben. Außerdem sind unsere musikalischen Einflüsse natürlich sehr viel breiter gestreut.
Wie kam es denn zum Gastauftritt von Justin Sane? Wer hat wen gefragt, und wie lief dann die Aufnahme?
Wir haben mit Anti-Flag im letzten Jahr in Leipzig gespielt, uns super verstanden, den Kontakt aufrecht erhalten und Justin dann einfach gefragt. Seine Spuren hat er dann bei sich zu Hause in Pittsburgh aufgenommen und uns zugeschickt- die moderne Technik macht’s möglich. Wir waren natürlich überglücklich darüber und nicht zuletzt das Lied „Flüstern, Rufen, Schreien“, dass dabei herausgekommen ist, legt den Vergleich mit AF wohl auch so nahe.
Kürzlich habt Ihr auch ein Video zum Song "Die Zeit rennt" veröffentlicht. In dem geht es unter anderem ja auch darum, wie schwer es für viele Leute ist, sich unter dem aktuellen Druck der Arbeitswelt nicht zu Tode zu schuften. Wer hat Euch zu dem Song inspiriert, und wie findet Ihr als ja sicherlich nicht gerade Top-verdienende Band den richtigen Mittelweg aus Arbeitsstress und Leben genießen?
Abschalten kann man als Musiker gemeinhin am Besten, wenn ganz viel Krach um einen herum ist. Also Abends im Proberaum, im stinkigen Bandbus oder in irgendeinem kleinen Club mit 150 Gleichgesinnten. Auf die Idee zu dem Lied kamen wir durch zahlreiche Fälle im Bekannten- und Freundeskreis, wo Leute schon mit 25 Jahren völlig ausgebrannt von der Arbeit ein Fall für die Psychatrie waren, wo eine Bekannte einen Monat nach ihrem Renteneintritt ihre Krebsdiagnose bekommen hat. Eigentlich ist es ein klassischer Punk-Song: Arbeit ist Scheiße! – Arbeit jedenfalls, die uns krank macht, die wir nur um des Geldes willen tun, auf die wir uns trotz Krankheit schleppen. Es geht um ein menschenwürdiges Leben für alle, und um Selbstverwirklichung.
Ihr engagiert Euch für viele unterschiedliche wohltätige Organsationen - eine davon ist Oxfam. Warum habt Ihr gerade die ausgewählt?
Oxfam leisten aus unserer Sicht einerseits unverzichtbare Arbeit in Krisenregionen, wo Hilfe gebraucht wird. Andererseits haben sie aber auch kluge Strategien entwickelt, Armut vorzubeugen: Mit umfassenden Bildungsprogrammen und Infrastrukturprojekten. Damit helfen sie den betroffenen Menschen zur Selbsthilfe, statt sie wie bei zahlreichen anderen Projekten über Jahrzehnte am launischen Tropf der spendenbereiten Europäer hängen zu lassen. Und das war für uns das entscheidende Kriterium.
Unter anderem habt Ihr ja auch am Oxfam Trailwalker teilgenommen. Worum genau geht es bei dieser Veranstaltung, und hat es Spaß gemacht?
Spaß war ja zum Glück nicht Sinn der Sache, denn es war schon eine ganz schöne Tortur für uns unsportliche Punker. 100 Kilometer sind wir ohne Unterbrechung zu Viert durch den Harz gelaufen, haben dafür 2000€ Spenden mit unseren Fans für die Bildungsprojekte von Oxfam gesammelt. Es war in jedem Fall eine positive Erfahrung, dass wir mit der Unterstützung unserer Fans und Freunde so weit kommen konnten. Und für jeden persönlich sowie für uns als Team war es eine körperliche Grenzerfahrung.
Sehr aktiv seid Ihr ja auch bei der Kampagne "Kein Bock Auf Nazis". Wie ist Euer persönliches Empfinden wenn Ihr als Punk-Band durch Deutschland tourt - hat man das Problem mit dem rechten Rand besser im Griff oder wird es im Gegenteil mancherorts eher schlimmer?
Der Fall NSU hat für uns gezeigt, dass das Naziproblem in Deutschland trotz aller Warnungen immer noch ein Unterschätztes war und ist. Eine Nazi-Terrorbande tötete ein Jahrzehnt lang unerkannt und unbehelligt Menschen. Und die Täter werden unter den Opfern, vermeintliche Ausländer, vermutet. Das zeigt doch ganz deutlich, dass es nicht nur ein Naziproblem gibt, sondern auch eins damit, wie die Verfolgungsorgane und Medien mit Deutschlands Nazis umgehen.
Was das Bild auf den Straßen angeht- das unterscheidet sich stark von Ort zu Ort, nur funktioniert die alte Unterscheidung zwischen neuen und alten Bundesländern nicht mehr so, wie vielleicht noch vor 10 Jahren. Dortmund und Neumünster sind zum Beispiel Städte mit nem riesigen Naziproblem, während man in Erfurt und Leipzig ziemlich unbehelligt von denen Leben kann.
Habt Ihr das Gefühl, dass Ihr bei Eurem Publikum mit diesen Engagements offene Türen einrennt? Oder ist es tendenziell eher schwierig, weil viele sich eben doch mehr für die Musik als Texte und drumherum interessieren?
Ich würde sagen, der größte Teil unseres Publikums ist zumindest anpolitisiert und damit total offen für solche Fragen. Das hat nicht zuletzt das gute Feedback auf die Oxfam- und Skate-Aid-Kampagnen bewiesen. Und andere finden uns gerade gut weil wir politische Themen ansprechen. Aber klar machen wir in erster Linie Musik, und die ist in der Form offen für jede Art bewussten und unbewussten Konsums.
Auch für Skate Aid habt ihr im letzten Jahr einen Benefiz-Song mit Jim Lindberg und den Riverboat Gamblers aufgenommen. Wie ist der angenommen worden?
Erstmal ist natürlich ein Traum für uns in Erfüllung gegangen, ein Lied mit Jim Lindberg aufzunehmen. Welche in den 90igern musikalisch sozialisierte Punkband hatte nicht auch Pennywise in der Liste ihrer All-Time-Favorites? Die Zusammenarbeit mit Skate Aid und Titus Dittmann war auch super, die waren total dankbar und haben uns hinterher noch auf eine Spendengala nach Münster eingeladen. Und hey, wir haben „Knowledge“ gecovered, schon im Original ein hammer Song, da konnten wir gar nicht so viel falsch machen!
Ihr seid ja nun auch schon zehn Jahre dabei, in denen Ihr Euch einen immer besseren Ruf erspielt habt. In der gleichen Zeit ist es für Bands aber auch immer schwerer geworden, durch Plattenverkäufe noch Geld zu verdienen, dadurch werden Live-Shows immer wichtiger. Wie seht Ihr die Entwicklungen in der Musikindustrie im Allgemeinen und in der Punkrock-Szene im Speziellen?
Die Zeiten, in denen Bands noch im großen Maßstab Platten verkauften, haben wir ja sowieso nie miterlebt, dafür sind wir zu jung, in dem Sinne ist uns da nichts weggebrochen. Mit Liveshows wird man auch kaum reich, aber immer mit T-Shirts kommen schon ein paar Mark rein. Und da es sowieso nichts gibt, was wir lieber tun, als auf Tour zu sein, trifft sich das sogar ganz gut. Den Majorlabels werden wir jedenfalls keine Träne nachweinen.
Was ist für die nächste Zeit geplant - sowohl musikalisch als auch, was weitere Aktionen angeht?
Erstmal steht jetzt für uns ein langer und hoffentlich warmer Festivalsommer ins Haus, wo wir auf großen Festivals wie Open Flair und Area 4 mit Bands wie Social Distortion oder Beatsteaks die Dinosaurier begleiten dürfen, aber viele kleine und Umsonst-Festivals, auf die wir uns besonders freuen. Auch danach werden wir in unserem Auto kleben wie die Weinbergschnecken in ihren Häusern, im Herbst geht’s nämlich weiter mit einer Clubtour.