Donnerstag, 13. September 2012

Punk- und Indie-Labels im Jahr 2012: Zeitstrafe im Interview

Antitainment, Matula, Tackleberry, Escapado, Grand Griffon - die Liste der Veröffentlichungen des kleinen Labels Zeitstrafe ist vielleicht nicht übermäßig lang, dafür aber übermäßig gut. Label-Chef Renke darf natürlich in unserer Serie über die Sorgen, Probleme und Chancen von Label-Machern im Jahre 2012 nicht fehlen. Und selbstredend, dass der Mann gute und alles andere als stndardisierte Antworten auf alle Fragen parat hat.

CDs kauft kaum noch jemand, mit Streaming-Diensten wie Spotify verdienen kleine Labels kaum Geld, immer mehr Bands bringen zudem ihre Alben lieber selber raus - macht es anno 2012 noch Spaß, ein Label zu machen?
    
Mal davon abgesehen, dass ich mein Label nicht in erster Linie dafür gegründet habe, um Spaß zu haben, macht es sehr viel Spaß, ja. Auch 2012. CDs haben mich noch nie besonders interessiert, Spotify auch nicht. Dass kleine Labels kaum Geld verdienen ist sicherlich kein neues, abgefahrenes Phänomen, sondern das liegt im Kern der Sache. Bands, die ihre Platten selber rausbringen - auch ein alter Hut (siehe z.B. EA80, um nur ein Beispiel zu nennen). Das ist doch einfach DIY.
    
Was sind aktuell die größten Herausforderungen für Dein Label?
    
Die aktuell größten Herausforderungen für Zeitstrafe sind die drei Veröffentlichungen, die dieses Jahr noch anstehen. Darauf hab ich mega Bock.

Würdest Du das Label mit Deinem jetzigen Wissen nochmal gründen?
    
Auf jeden Fall. Ich wäre dabei nur sehr viel unaufgeregter und abgeklärter, was sehr schade wäre. Es ist doch schön, wenn Menschen etwas starten, was sie eigentlich kaum verstehen und nicht konventionell gelernt haben, aber mega abfeiern. Enthusiasmus ist doch für ein DIY Punk/HC Label tausendmal wichtiger, als drei Jahre auf der Pop-Akademie oder ein BWL Studium. Ich bin also sehr dankbar dafür, dass ich damals so ein unwissender Spacken war. Und find's auch ok, dass das heute nicht viel anders ist.

Was war dein größter Fehler in all den Jahren?
    
Ich habe nichts gegen Fehler oder Scheitern und kann mich an nichts erinnern, was ich jetzt nennen könnte, obwohl da sicher zahllose "Fehler" waren. Ich habe relativ spät angefangen, ein kleines Kissen mit auf Tour zu nehmen, das war vielleicht etwas dumm. Auf dem Boden pennen ist kein Problem, aber ein Kissen ist schon wichtig und versetzt den Körper trotz des harten Untergrunds in einen wohligen, wenn auch nur scheinbaren, Kuschelzustand.

Das Thema Urheberrecht ist dank Piraten-Partei und Co ja derzeit überall präsent. Sven Regener hat vor kurzem dazu seine so genannte "Wut-Rede" gehalten und gesagt: "Die kleinen Labels sind alle weg. Was bleibt, ist Volksmusik, deutscher Schlager und Rockmusik für die Älteren" - hat er recht?
    
Eine typische, brandaktuelle Frage für junge, aufgeweckte Menschen im Musikbusiness. Ich sollte dazu wohl sehr viel interessante Sachen zu sagen haben, bewegt es doch derzeit alle so doll und sorgt für unfassbare Emotionsausbrüche bei jedem Facebook-User zwischen 15 und 35. Ich ziehe es vor, einfach entspannt mein Label zu machen. Daher nur kurz: Die Piraten-Partei ist meiner Meinung nach ein Haufen Scheiße. Die Regener Rede fand ich unterhaltsam und dafür, dass er das so unvorbereitet und verkürzt rausgerotzt hat, steckten da durchaus Aspekte drin, mit denen ich etwas anfangen kann. Dass alle kleinen Labels weg sind, sehe ich selbstredend anders.

Und nochmal Regener: Da es uncool sei, sich über Raubkopien aufzuregen "halten alle schön die Schnauze und schauen weiter zu, wie alles den Bach runter geht" -  im Punk- und Indie-Bereich wahrscheinlich schon, oder?
    
Boah, weiß ich nicht. Sicher ist es uncool, sich öffentlich darüber aufzuregen oder auch nur mal mehr Fingerspitzengefühl zu erwarten. Auch im Punk-Bereich. Wenn ich beispielsweise einen Punk/HC Download-Blog darum bitten sollte, eine Veröffentlichung von mir nicht sofort bei VÖ anzubieten bzw. erst zu einem Zeitpunkt, an dem ich vielleicht meine Unkosten gedeckt habe und auch die Band ein paar Platten verkauft hat (ich habe das noch nie gemacht und werde es wohl auch nie, kenne das aber von befreundeten Bands & Labels), dann wird das, sofern dem Wunsch nachgegangen wird, so auf deren Seite vermerkt. Dann steht da "Das Label Zeitstrafe will nicht, dass wir euch hier die Platte XY zum Download anbieten können, tut uns leid". Das Label steht dann wie der raffgierige, coole Spielverderber da und der Blog als Kämpfer für die Freiheit der Kunst, klar. Es ist schon schwierig, aber ich versuche mir darüber nicht zu viele Gedanken zu machen und denke, dass die Leute, die ich mit meinem Label anspreche, genug Einschätzungsvermögen und auch keinen Bock darauf haben, dass man ihnen versucht zu erklären, wofür sie ihr Geld auszugeben haben. Hab ich ja auch nicht. Die Musik, die um mich rum passiert und die damit zusammhängende Szene geht übrigens nicht den Bach runter, sondern ist lebendig wie eh und je.

Ist Label-Machen heutzutage eher Hobby als eine echte Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten?
    
Wer sein Label explizit gegründet hat, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, hat meiner Meinung nach von vornherein den falschen Ansatz gewählt. Es sollte doch in erster Linie darum gehen, fantastische Musik, die um einen herum passiert, mit anderen Menschen teilen zu wollen, ob das nun Geld abwirft oder nicht. Davon ab hasse ich diese strikte Unterteilung bzw. Trennung von "Freizeit", "Hobby" und "Lebensunterhalt verdienen" aka Beruf / Job. Ich mache mein Label immer, durchgehend, und es war noch nie nur mein Hobby, auch nicht bei roten Zahlen. Auch die meisten Bands, mit denen ich Sachen zusammen mache, würden sich nicht als Hobby-Musiker bezeichnen, denke ich, auch wenn sie mit ihren Bands kein Geld verdienen oder kaum etwas und auch andere Dinge in ihrem Leben haben, die ihnen wichtig sind. Warum sollte man sich auf Grund der finanziellen Verwertbarkeit der Dinge, die man tut, vorgeben lassen, was jetzt Hobby / Arbeit / Quatsch / Karriere / Spaß / Berufung / Lebensinhalt / Zeitverschwendung usw. ist? Wer entscheidet das? Ich kann diese Fragen hier an einem Sonntag auf meinem Balkon beantworten und mir dazu heftig einen reinstellen und das Ganze Beruf nennen und niemand kann was dageben machen. Man sollte Dingen, die unverwertbarer Quatsch sind, einen viel höheren Stellenwert geben.

Was sagst Du einer Band, die der Meinung ist, dass man heutzutage als Musiker besser alles selber macht, als ein Label zu beauftragen?

Was sollte ich dazu sagen? Wenn eine Band selber weiß, was das Beste für sie ist - gut für sie!

Sind Vinyl, hochwertige Sammler-Editionen und Merchandise eine Lösung - oder auch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?

Das ist eine Frage für Labels, die jahrelang auf hochwertige Veröffentlichungen, liebevolle Platten-Aufmachung und /oder fair gehandeltes Merchandise von hoher Qualität geschissen haben und nun verzweifelt versuchen, durch sowas ihre Bilanzen auszugleichen. Dort wo ich mich bewege, legen die meisten Labels und Bands schon immer sehr viel Augenmerk auf Qualität und darauf, den Leuten keinen Trash vorzusetzen. Das ist für mich keine Lösung und auch kein Tropfen auf dem heißen Stein, sondern normal, dass man auf sowas Wert legt. Es ist einfach das, was man tut.

Wo siehst Du Dein Label in zwei oder drei Jahren?
    
Ich denke nicht so weit nach vorne.

Ein guter Freund kommt zu Dir und sagt, er startet jetzt sein eigenes Label, weil er so viele gute Musiker kennt, die er veröffentlichen möchte. Was rätst Du ihm?
    
Nichts! Soll der oder die einfach machen. Der durchschnittliche Musikgeschäftszene-Honk würde das wohl als schlechten bzw. keinen Erfolg versprechenden Businessmove bezeichnen, aber ich mag sowas. Hauptsache bringt Bock.

Noch etwas, das Dir zu diesem Thema wichtig ist?

Mäßigt euch! Alle!